Das Seminar Weiblichkeitsbilder in der Literatur der Moderne geht von der Feststellung aus, dass die (bis heute?) patriarchalisch dominierte oder zumindest geprägte Geschichte sich in der Literatur widerspiegelt. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden die meisten literarischen Texte von Männern verfasst, und entsprechend sind die Themen, Perspektiven und Phantasien der Texte zumeist männlich konnotiert. Zentral ablesbar ist dies an der Stereotypie und Monotonie der jeweils inszenierten Bilder von Weiblichkeit. Eine geschlechtsneutrale Betrachtung der Literaturgeschichte und der Literatur läuft daher Gefahr, diesen fundamentalen Aspekt jahrhundertelanger Diskurs- und Bildproduktion zu vernachlässigen und die Gehalte der Texte als reine, weil gesellschafts- und geschlechtsunabhängige Wahrheiten verstehen zu wollen. Gegen diese Neutralisierung der Geschlechterdifferenz in der Literaturwissenschaft wenden sich die Gender Studies, die seit ihrem Aufkommen in den 1960er Jahren dazu beitragen, den Blick auf die kulturellen Diskurse um neue Dimensionen zu erweitern und kritisch zu schärfen. Das Seminar knüpft an aktuelle Positionen der Gender Studies an und versucht, die darin erarbeiteten theoretischen Aspekte für die Deutung literarischer Texte fruchtbar zu machen, wobei jeweils von einer analytischen und detailgenauen immanenten Interpretation des jeweiligen Textes ausgegangen wird. Die Absicht ist eine doppelte: Zum einen soll männliche Literatur in dem zentralen Aspekt der in ihr entworfenen Frauenbilder kritisch gelesen, zum anderen sollen Gegenentwürfe weiblichen Schreibens in ihren kritisch-utopischen Möglichkeiten untersucht werden. Im Zentrum des Seminars stehen drei literarische Texte: Paul Leppins Severins Gang in die Finsternis. Ein Prager Gespensterroman (1914), Arthur Schnitzlers Fräulein Else (1924) und Ingeborg Bachmanns Undine geht (1961). Die literarischen Texte sollen je nach Erfordernis um Ausschnitte aus wichtigen Texten des Feminismus und der Gender Studies (Woolf, de Beauvoir, Kristeva, Cixous, Bovenschen u.a.) ergänzt werden. Auch Aspekte der (Freudschen) Psychoanalyse sollen in die Analyse der Texte und Kontexte einfließen.
Das Seminar ist offen für Studierende aller Jahrgänge; es setzt vor allem die Bereitschaft zur genauen Lektüre der behandelten Texte voraus. Kredite werden durch regelmäßige Anwesenheit und eine drei- bis fünfseitige Abschlussarbeit erworben. Alle Texte werden in Form von Kopien zur Verfügung gestellt. Der Unterricht findet in Distanzform statt.