Im 19. und 20. Jahrhundert durchliefen die Länder Mittel- und Osteuropas eine tiefgrei-fende Transformation: Sie wandelten sich von agrarischen zu postindustriellen Gesell-schaften. Dabei ging nicht nur die volkswirtschaftliche
Bedeutung der Landwirtschaft, sondern auch die Bedeutung des ländlichen Raumes und die gesellschaftliche
Rolle so-wohl der Bauern als auch der grundbesitzenden, meist adligen Eliten massiv zurück. Diese
Deagrarisierung und Deruralisierung stellten nicht nur einen epochalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft dar, sondern veränderten kulturelle Werte, Mentalitäten, politische Orientierung massiv. Gleichwohl stellte die ländliche
Gesellschaft ein erhebli-ches Beharrungsvermögen unter Beweis. Daher ist weniger zu fragen, warum der land- wirtschaftliche Sektor so sehr an Bedeutung verlor, sondern wie es der ländlichen Ge-sellschaft gelang, sich erfolgreich an die sich verändernden Umstände anzupassen.
Im Seminar wollen wir dieser Frage anhand ausgewählter Texte über die Entwicklung der ländlichen
Gesellschaften Mittel- und Ostmitteleuropas im 19. und 20. Jahrhundert von der „Bauernbefreiung“ bis zum Ende des Sozialismus nachgehen. Zu den Themen gehören der Bauer als Subjekt und Objekt in der Geschichte, seine
Darstellung in Publi-zistik und Belletristik, der Wandel der ländlichen Sozialbeziehungen – insbesondere zwischen grundbesitzendem Adel und Bauern –, die politische und ökonomische Mobilisierung im Zeichen der
Fundamentalpolitisierung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die Entwicklung des Agrarismus als ideologische Orientierung der ländlichen Sozialgruppen sowie die Entwicklung der ländlichen Gesellschaft im
Sozialismus. Im Zentrum des Interesses stehen Deutschland, Österreich und Russland bzw. die Sowjetunion, was die Böhmischen Länder bzw. der Tschechoslowakei sowie die Länder Polens einschließt.
Das Seminar wird zweisprachig in deutscher und tschechischer Sprache abgehalten und dient unter anderem der
Vorbereitung und Besprechung von Bachelor- und Masterarbeiten.