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PVP 2 Zivilgesellschaft, Modernisierung und Nationalismus in Mitteleuropa

Předmět na Filozofická fakulta |
AHSN00106

Anotace

Zivilgesellschaft, Modernisierung und Nationalisierung in böhmischen Ländern und im Mitteleuropa

Zeit- und Themenprogram Sommersemester 2018(19

Milan Hlavačka (M. Hl.), Jan Randák (J. R.), Martin Klement (M. K.) 18. únor/Februar Byrokratische Kommunikation in Böhmen (M. Hl.) 25. únor/Februar Selbstverwaltung in Böhmen I. (M. Hl.) 4. březen/März: Geschichte der Selbstverwaltung in Böhmen II. (M. Hl.) 11. březen/März: Geschichte der Selbstverwaltung in Böhmen III. (M. Hl.) 18. březen/März: Konstruktion des tschechischen nationalen Körpers im 19. Jahrhunderts (J. R.) 25. březen/März: Die Formierung des Prager Raums. Narrative des Nationalen in Prag-Reiseführern (Mitte des 19. Jh. bis Mitte des 20. Jh.) (J. R.) 1. duben/April: Die Stadt als realer und symbolischer Raum der nationalen Identität: Prag an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert (J. R.) 8. duben/April: Was ist Sport? (M. K.) 15. duben/April: Sport und Gender (m. K.) 22. duben/April: Velikonoce/Ostern 29. duben/April: Sport und Religion (M. K.) 6. květen/Mai: Geschichte der Selbstverwaltung in Böhmen VI. (M. Hl.) 13. květen/Mai: Geschichte der Selbstverwaltung in Böhmen V. (M. Hl.) 20. květen/Mai : Die Bedeutung Jan Hus für die Entwicklung des tschechischen Nationalbewusstseins (J. R.

Prof. PhDr Milan Hlavačka, CSc.

Einleitend:

Die Entstehung einer liberal-bürgerlichen Gesellschaft in den Böhmischen Ländern nach 1848 ist auf dem ersten Blick ein in der tschechischen Historiographie häufig bearbeitetes Thema. Ich wage aber zu behaupten, dass es bislang ein sehr einseitig konzipiertes und methodologisch bei weitem noch nicht ausgeschöpftes Thema ist. Erst in jüngster Zeit sind Studien und Monographien erschienen, in denen die Entstehung der Zivilgesellschaft auf einer breiteren Quellenbasis dargestellt und anhand regionaler Detailuntersuchungen präzisiert wird, verfasst von einer jüngeren Generation von Historikerinnen und Historikern . Aus diesen Studien geht hervor, dass die Herausbildung liberaler und nationaler Standpunkte des Bürgertums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein langsamer, komplizierter und vor allem ein vielschichtiger Prozess war. Die erste Komponente ergab sich aus der politischen Tätigkeit und der politischen Kultur der damaligen Abgeordneten, die sich in den gesetzgebenden Körperschaften des Reiches und der Länder sowie in den außerparlamentarischen Aktivitäten manifestierte. Zu den staatsrechtlichen Kämpfen, zu den politischen Parteien und ihren Programmen und zu einigen Politikerpersönlichkeiten liegen zahlreiche Studien vor. Die zweite Komponente war die ökonomische Emanzipation der tschechischen Gesellschaft, die Ende des 19. Jahrhunderts durch das Entstehen der Mittelschichten und unternehmerischen Eliten ihren Höhepunkt fand. Die Wirtschaftsgeschichte ging bislang von der bürgerlich-kapitalistischen Haltung des Unternehmertums aus, ohne sich mit dessen Genese zu beschäftigen. Erst in jüngeren Studien wurde diese Doktrin hinterfragt . Die dritte Komponente der Zivilgesellschaft nicht nur in den Böhmischen Ländern waren die Vereinsaktivitäten. Sie ermöglichten einen Zusammenschluss auf Grundlage gemeinsamer, zumeist unpolitischer Interessen in den Bereichen Konsum, Kultur und Wirtschaft. Untersuchungen über dieses breite Feld bürgerlicher Aktivität sind noch ausständig. Die vierte Komponente ist durch die Tätigkeit autonomer Gremien auf Gemeinde-, Bezirks- und Landesebene gekennzeichnet. Ihre vielfältigen Aktivitäten waren weniger sichtbar, hier spielten sich jedoch, verglichen mit Reichsparlament oder Landtagen, nicht minder wichtige "Kämpfe" ab, die für die Entstehung eines bürgerlichen Selbstbewusstseins entscheidend waren. Diese alltäglichen Konflikte, Zwistigkeiten und Kompromisse trugen zur Herausbildung moderner bürgerlicher Einstellungen und zur Errichtung einer modernen bürgerlichen Infrastruktur bei. Sie waren sehr vielschichtig und reichten vom Sicherheitswesen bis zur Errichtung von Schulen, auch die Errichtung von Bezirksstraßen, Regionalbahnen, kommunalen Wasserleitungen, Armen- und Krankeneinrichtungen gehörten dazu, ebenso wie die Schaffung von Elementarschadensversicherungen, Flussregulierungen, das Erstellen von Bauordnungen sowie die Verwaltung des Gemeindebesitzes und der Gemeindefonds.

Das Reichsgemeindegesetz überließ den Kommunen ein breites Feld von selbständigen Kompetenzen: die Verfügung über das Gemeindevermögen; den Schutz von Personen und ihres Eigentums durch Errichtung der Gemeindepolizei; Straßenerhaltung; Marktpolizei; Gesundheitspolizei (Trink- und Brauchwasser, Kanalisation, Friedhöfe, Tierseuchen); Gesindepolizei; Sittenpolizei; Armenversorgung und Armenfonds; Bauaufsicht; Brandschutz; Streitschlichtung in der Gemeinde; Verwaltung der Grund- und kommunalen Mittelschulen; Versteigerungen. Großteils waren das Aktivitäten, an denen das private Kapital aufgrund des finanziellen Aufwands und des unsicheren Kapitalrückflusses kein großes Interesse bekundete. Erst durch die Selbstverwaltungsgremien und ihre Entscheidungsbefugnisse, vor allem aber durch die autonomen Gemeindefinanzen (und nach 1890 durch die Landesbank für das Königreich Böhmen) wurde die Finanzierung dieses Bereichs auch für den Privatsektor attraktiv und zum Objekt unternehmerischer Aktivitäten. Über die Selbstverwaltung konnten bürgerliche Ideale popularisiert und durch Mehrheitsentscheidungen und den damit verbundenen Appell an das gemeinschaftliche Pflichtbewusstsein gefestigt werden.

Obwohl auch in den Selbstverwaltungsorganen Eigen- und Gruppeninteressen im Vordergrund standen, wie sich an dem großen Schwund von Gemeindevermögen zeigt, ist doch die Einschätzung der Selbstverwaltung als "Schule der Demokratie" schlüssig. Die Mitglieder der böhmischen Gemeinde- und Bezirksvertretungen sowie die Gemeinde- und Bezirkssekretäre waren sich auch ihrer Vorbildwirkung und ihrer Bedeutung für die politische Erziehung der Bevölkerung bewusst. So betonte der langjährige Bezirkssekretär von Laun (Louny) und später von Smichow (Smíchov), Rudolf Wunsch, "das Institut der Bezirksvertretungen soll für unser Volk eine Selbstverwaltungsschule sein […], soll unserem Volke Schule und Vorbereitung für das politische Leben sein, sodass die Fürsprecher seiner Rechte, welche sich hier entwickelt und bewährt haben, dann sein weiteres Schicksal, ja das Schicksal des Reiches in allen dazu berufenen gesetzgebenden Versammlungen erfolgreich beeinflussen können. Das Institut soll die politische Erziehung unseres Volkes zur Selbständigkeit, Würde und Bürgertapferkeit nachdrücklich fördern und berücksichtigen. Durch seine Wirkung soll unser Volk jene politische Reife erreichen, welche den Preis von Richtung und Zeit zu schätzen weiß, und auch die Stimme der Männer zu schätzen, die im öffentlichen Leben Losungen ausgeben, nicht nur nach der Lautstärke der Wörter, sondern nach den Ergebnissen ihrer Taten zugunsten der tatsächlichen Freiheit und des Wohls der Bürgerschaft." Wunsch krönte dies mit folgendem Gedanken: "Durch das Tor der Bezirksvertretung führt der Weg zu einer höheren Bürgerausbildung, der Weg zu einer erfolgreichen politischen Tätigkeit, zu einer effektiven Wirkung in den gesetzgebenden Versammlungen, zum Gedeihen der Heimat und deren Hebung." Ab Mitte der sechziger Jahre des 19. Jahrhunderts bildeten sich auf Gemeindeebene breite "Kader" von politischen Reserven, die später in die Landes- und Reichspolitik eintraten und als Bezirksobmänner oder Landtagabgeordnete an der Gestaltung der politischen Kultur und der Erarbeitung von Landes- und Reichsgesetzen beteiligt waren. Unter ihnen befanden sich Persönlichkeiten wie Fürst Jiří Kristián (Georg Christian) Lobkowicz (konservativer Großgrundbesitz, Melnik [Mělník], dann Pisek [Písek]), die Alttschechen František Augustin Brauner (Smichow), Jan Jaroslav Jindáček (Hořowitz [Hořovice]), František Ladislav Rieger (Chotieborsch [Chotěboř]), Freiherr Karel [Karl] Drahotín Villani (Beneschau [Benešov]), oder die Jungtschechen Josef Herold (Königliche Weinberge [Královské Vinohrady]), Karel Adámek (Hlinsko [Hlínsko]), Ervín Špindler (Raudnitz [Roudnice]) und Alois Pravoslav Trojan (Rakonitz [Rakovník]). Manche waren Bezirkssekretäre oder Bürgermeister und zugleich Abgeordnete, wie František Vinkler (Melnik), Karel Mattuš (Jungbunzlau [Mladá Boleslav]), František Schwarz (Pilsen [Plzeň]) und der bereits erwähnte Wunsch.

Ich habe in der vorliegenden Arbeit meine Forschungsergebnisse zur Entstehung und Funktionswiese der böhmischen - und in einem Fall der deutsch-mährischen -Selbstverwaltung auf drei territorialrechtlichen Ebenen zusammengefasst: Gemeinde (Piseker Ausstellung 1867), Bezirk (Errichtung der Bezirksvertretung Melnik) und Land (Landeseisenbahnprojekt). So werden die böhmischen Selbstverwaltungsorgane in ihrem gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang (Adel und Selbstverwaltung, Geschäftssprache in den autonomen Behörden, Streitfälle zwischen Selbstverwaltung und Staatsbürokratie, Rolle der Selbstverwaltung in der Industrialisierung, Selbstverwaltung und Gemeindeeigentum) untersucht. Die Selbstverwaltung wird aber auch personifiziert, denn praktisch auf allen Ebenen taucht der spätere höchste Selbstverwaltungsfunktionär des Landes auf, Fürst Lobkowicz, und zwar als verbindendes Element zwischen den drei territorialen Selbstverwaltungsstrukturen (Gemeinde - Bezirk - Land), zwischen drei Territorien der Selbstverwaltung Böhmens - Melnik, Pisek und Prag, und schließlich zwischen drei Funktionen in der Selbstverwaltung (Mitglied der Bezirksvertretung, Obmann des Bezirksausschusses, Vorsitzender des Landesausschusses und des Böhmischen Landtags). Die Schlussfolgerungen werden am Ende des jeweiligen Kapitels zusammengefasst; abschließ